Jürgen Barthelmes
„Die Medien vermitteln über Jugendkulturen meist skandalisierende Aspekte (insbesondere über Skinheads, Punks, Grufties, Raver); sie reduzieren Inhalte und Themen der Jugendkulturen auf die Probleme „Gewalt“ und „Drogen““ (vgl. Barthelmes 1997, S. 39).
Viele Erwachsene kapitulieren vor der Vielfalt der Jugendkulturen, sie sind sprachlos geworden. Man kann diese Kulturen nicht durch Desinteresse, Nicht-Wahrnehmung oder Abschottung lernen zu verstehen. Viel wichtiger ist genau hinzusehen, nicht weg (vgl. Barthelmes 1999, S. 39).
Laut Barthelmes kommen diese Jugendkulturen nicht von irgendwoher, sondern sie entstehen schon sehr bald in der Kindheit. Kinder im Kindergarten orientieren sich bereits an Ikonen der Pop-Kultur, imitieren ihre Stars. Musiksender bedienen die Familien 24 Stunden mit Jugendkulturen und Musikkulturen (vgl. Barthelmes 1999, S. 40).
Es gibt eine Vielzahl von Jugendkulturen, welche sich nach den folgenden vier Grob-Kategorien einteilen lassen: Musik-Kulturen, Sinn-Kulturen, Körper-Kulturen und Kreativ-Kulturen. Jede dieser Kulturen bringt aber wiederum mehrere Sub-Kategorien mit sich. Außerdem sind Jugendkulturen stets in Veränderung, sind kurzlebig, bieten aber trotzdem Gefühle der Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Auch für junge Erwachsene haben Jugendkulturen große Bedeutung, denn oft können Jugendkulturen erst mit Volljährigkeit intensiv gelebt werden. Weiters verwandeln sich Jugendkulturen immer mehr zu kulturellen Szenen, in denen sich oft Job- und Berufsmöglichkeiten ergeben (vgl. Barthelmes 1999, S. 40 ff).
„Jugendkulturen sind in den Alltags- und Tagesablauf der Jugendlichen eingebettet. Obgleich der Sinn von Jugendkulturen auch Rebellieren, Widerständigkeit und Anecken heißt, ist das sozialkulturelle Umfeld für die (Aus-) Wahl der jugendkulturellen Szenen und Stile entscheidend. Jugendkulturen und deren Ausdrucksformen sind in die Gesellschaft eingebunden; somit sind sie auch politisch, beziehen Stellung und reagieren auf die Gesellschaft; sie sind Spiegelbilder unseres alltäglichen gesellschaftlichen Lebens; sie sind Arbeit an der Differenz, Arbeit am Unterschied; sie sind Antworten auf Fragen, die in Familie und Gesellschaft nicht gestellt, nicht beantwortet, tabuisiert, verdrängt oder verschlampt werden; sie sind Angebote, mittels derer die Jugendlichen ihre entsprechende Sinn-Gehalte finden können“ (vgl. Barthelmes 1999, S. 42 ff).
Jugendliche brauchen diese jugendkulturellen Szenen für den Prozess der Ablösung sowie für die Arbeit am Selbstbild. Jugendkulturen bieten für Jugendliche Alternativen zum Mainstream an. Weiters sind diese „Erwachsenen-„ bzw. „Eltern-freie Zonen“, in welchen die Jugendlichen ihre Regeln selbst aushandeln und gestalten, Jugendkulturen sind also Erfahrungsräume, in denen Jugendliche ihre Identität entwickeln können.
In Diskussion über Jugendkulturen kommt die Rede sehr rasch auf die Themen „Gewalt“ und „Drogen“. Doch diese beiden Themen sind keine jugendkulturellen Themen sondern Themen des Jugendstrafrechts, der Psychologie und Pädagogik. Außerdem sind sie keine jugendkulturellen Themen sondern Phänomene bei bestimmten Szenegruppen (vgl. Barthelmes 1999, S. 45 ff).
„Selbst bei entschiedener Ablehnung bestimmter jugendkultureller Geschmacksstile bleiben die Familien bzw. die Eltern von den jugendkulturellen Erfahrungen und Geschmacksentwicklungen nicht verschont. Die Familie wird mehr denn je zum Ort, an dem Jugendliche an einer Balance zwischen Familienkultur und Peergroup-Kultur die eigene persönliche Geschmackskultur entwickeln müssen. Dieser Prozess bedeutet Auseinandersetzung und Abgrenzung, aber auch Erweiterung und Bereicherung. Das proklamierte „Gemeinsame der Familie“ erfährt somit eine Veränderung und muss dann neu definiert und gestaltet werden“ (Barthelmes 1999, S. 49 ff).
Barthelmes, J. (1999). Raver, Rapper, Punks, Skinheads und viele andere. Beobachtungen aus jugendkulturellen Szenen. Zeitschrift für Pädagogik. Erziehung und sozialer Wandel, 39, 39-50.